Zierde, Zauber, Zeremonien

Vom Werden einer neuen Ausstellung – magische Momente inklusive

Während meines wissenschaftlichen Volontariats am Landesmuseum Natur und Mensch in Oldenburg (http://www.naturundmensch.de). hatte ich die Chance, ein spannendes und herausforderndes Projekt hauptverantwortlich zu realisieren: die Konzeption, Organisation und Gestaltung einer Sonderausstellung.

Der Schatz im Depot

Eines Tages wurden mir ein paar Kartons unsortierter Schmuckstücke in die Hand gedrückt. „Schauen Sie sich die Sachen an und machen Sie eine schöne Ausstellung draus!“ Das waren die Worte meines damaligen Chefs, des Archäologen Prof. Dr. Mamoun Fansa.

Diese spärlichen Informationen und knappen Worte weckten meinen Ehrgeiz und die detektivische Puzzlearbeit begann. Der Weg bis zu einer fertigen Ausstellung ist in der Regel lang, deshalb habe ich die wichtigsten Arbeitsetappen und Erkenntnisse mal zusammengefasst:

Objekte offenbaren Geheimnisse – erste detektivische Spurensuche

Zunächst versuchte ich eine grobe Sortierung der Objekte vorzunehmen. Dabei achtete ich ganz simpel auf Ähnlichkeiten in Form/Farbe und oder Größe. Neben Schmuckgegenständen mit Amulettcharakter, die überwiegend auf das 20. Jahrhundert zu datieren sind (zum Beispiel Ringe, Arm-, Fußspangen, Kettenanhänger, kleine Fibeln) enthielten die Kisten auch verschiedene Alltagsgegenstände aus Ton und Keramik sowie eine kleine Bibliothek zum Thema „Schmuck- und Amulettwesen“. Der überwiegende Teil diese Konvolutes (Sammlung) war in Ägypten ansässigen Ethnien zuzuordnen.

Objekte erzählen – Wissenschaftliche Analyse und Inventarisierung

Die Objekte wiesen eine große Bandbreite im Hinblick auf den Grad ihrer wissenschaftlichen Erschließung auf. Auf der einen Seite waren sie publiziert und ausführlich beschrieben worden; auf der anderen Seite fanden sich etliche Objekte ohne jegliche Informationen. Zu etwa 90% der Objekte wurden von den Sammlern keine schriftlichen, zum Objekt adäquaten Informationen hinterlassen.  Ein Großteil der Sammlung musste also wissenschaftlich neu erschlossen werden. Mit Hilfe der Analyse anderer, ähnlicher Sammlungen (i. S. von Vergleichsobjekten), durch das Heranziehen von Literaturquellen und nicht zuletzt im Austausch mit anderen Wissenschaftlern konnte ich schließlich eine Klassifizierung vornehmen – überwiegend nach funktionellen Aspekten.

Objekte werden zu Exponaten – Festlegung der Themen und Auswahl des Materials

Im Mittelpunkt stand also die praktische Verwendung des Schmucks im Alltag; d. h. ihre von den Trägern zugeschriebene Bedeutung und „Wirksamkeit“, die aus Schmuck Amulette werden lässt. Anhand des verwendeten Materials, der spezifischen Form oder auch Farbgebung konnte ich Rückschlüsse ziehen, in welchen Bereichen des Alltags das einzelne Amulett aufgrund seiner zugewiesenen  Bedeutung Verwendung fand. Dabei ist es sowohl aus archäologischer als auch ethnologischer Perspektive schwierig, eine objektive Abgrenzung zwischen Schmuck und Amuletten vorzunehmen. Letztlich entscheidet der sich Schmückende, ob Ästhetik oder praktischer Nutzen des Schmuckstückes im Vordergrund steht.

Ins rechte Licht gerückt – das Zusammenspiel von Objekten und Informationen in der Ausstellung

Ausgehend von dieser funktionellen Perspektive auf die Objekte entwickelten sich folgende Ausstellungsthemen, die hier chronologisch aufgeführt sind:

1. Ängste, Abgrenzung und Abwehr – Schmuck und Amulette weltweit im Wandel der Zeiten

Der Wunsch, selbst Einfluss auf das Schicksal nehmen zu können, um Unglück von sich und seinem Lebensumfeld abzuwenden, ist wohl so alt wie die Menschheit selbst. Durch Handel, Völkerwanderung und aufgrund der Ausbreitung der einzelnen Religionen gelangten Materialien, aus denen Schmuck mit Amulettcharakter gefertigt wurde, in alle Welt. Entsprechend breiteten sich auch Bearbeitungstechniken, Motive und symbolische Bedeutungen aus.

LMNM Oldenburg, W. Kehmeier
Haustieramulett in Hufeisenform

2. Blickfänge und Blickableiter: Amulette gegen den Bösen Blick

Die Vorstellung vom „Bösen Blick“ ist ein universelles Phänomen, das auch im Christen- bzw. Judentum Erwähnung findet. Bestimmten Menschen, denen man negative Eigenschaften wie Zorn, Eifersucht und Neid unterstellt, werden in vielen Kulturen schädigende Einflüsse durch das „böse Auge“ auf ihr Umfeld zugesprochen. Vorgestellt werden typische abwehrende Amulette wie die „Hand der Fatima“ sowie Augenamulette aus Ägypten und der Türkei, die den Bösen Blick auf sich ziehen bzw. ablenken sollen.

LMNM Oldenburg, W. Kehmeier
Augenamulett

3. Bekenntnis, Schutz und Zugehörigkeit – Tradition von Schmuck und Amuletten im Islam

Eine herausragende Bedeutung hat der Gebrauch von Schmuck und Amuletten im islamischen Kulturraum erlangt. So sind die in Verarbeitung, Gestaltung und Verwendung vielfältigen Amulette in Nordafrika Teil der Alltagstracht von beiden Geschlechtern. Anhänger, Ketten oder Ringe, denen eine spezifische Funktion bzw. Wirksamkeit zugeschrieben werden, werden im Rahmen von Übergangsritualen wie Hochzeiten und „kleinen“ Alltagshandlungen verwendet.

Abb. Fingerring Tuareg, Bildunterschrift, -nachweis

4. Kult, Kunst und Handwerk: Amulette im Alltag am Beispiel der Ethnien in Ägypten

Sowohl bei den Bedja, die im südöstlichen Landesteil Ägyptens als nomadisierende Großviehzüchter leben, als auch den Berbern, die in Wüstengebieten leben, haben sich von alters her überlieferte Schmuckformen weitestgehend bis heute erhalten. Ausgewählte Exponate sollen einen Einblick in die Alltagskultur dieser und anderer Ethnien ermöglichen und damit auch die ethnische Vielfalt der gesamten nordafrikanischen Region aufzeigen.

Abb. Jungfrauenscheibe Siwa

5. Therapie, Vorsorge und Heilung: Amulette und die Gesundheit

Im den von den Vorgaben und Werten des Islam geprägten Regionen, aber auch in vielen anderen Kulturen vertraut man nicht nur auf die schützende, sondern gleichermaßen auf die heilende Wirkung von Amuletten. Vor allem für Frauen gibt es eine Vielzahl von Amuletten, die sie und ihren Nachwuchs in den kritischen Übergangsphasen ihres Lebens (Schwangerschaft und Mutterschaft) vor negativen Einflüssen schützen sollen.

Abb. Amulettscheibe roter Stein

6. Vertreibung und Besänftigung der Geister:  Amulette im Zâr-Kult

Wenn moderne, schulmedizinische Therapien nicht den gewünschten Erfolg zeigen, dann gilt der Zâr-Kult oft als letzte Möglichkeit zur Behandlung körperlicher oder psychischer Erkrankungen eines Patienten.  Vor allem in den Großstädten Ägyptens werden diese religiösen Zeremonien von und mit Frauen auch gegenwärtig noch abgehalten.

7.  Verkaufsschlager Souvenirs: Talismane und Glücksbringer als Erinnerung an die Fremde

Ägypten zählt neben Marokko zu den bevorzugten Reisezielen Nordafrikas. Entsprechende Bedeutung kommt der Produktion und dem Verkauf von Souvenirs zu. Aus der Sammlung Schienerl wird ein kleiner Bestandteil an Souvenirs gezeigt, die überwiegend als Nachahmungen von Formen und Motiven altägyptischer Amulette aufzufassen sind.